Goslar Kaiserring Stipendiat - Andreas Greiner - Einführungsrede von Bernard Vienat
Als Teil einer neuen Generation von ökologischen Künstlern zeigt Greiner, dass Kunst Information verdichten und neue Arten von Darstellungen finden kann, die die Betrachter prägen
Guten Tag meine Damen und Herren,
Sie haben wahrscheinlich vor weniger als zwei Wochen die Bilder von dem Brand im Amazonasgebiet gesehen. Wir waren alle geschockt, aber schon jetzt ist die Informationsflut darüber versiegt. Allein im vergangenen August brachen im Amazonasgebiet 26.000 Feuer aus. Viele brennen weiter, aber die Nachrichten haben mittlerweile andere Krisen im Blick. Kunst allerdings folgt einer anderen Zeitdimension. Sie ermöglicht eine Auseinandersetzung, die vielleicht keine unmittelbare Reaktion hervorruft, aber dauerhafte Gedanken.
Als Kurator hatte ich zwei Mal die Gelegenheit, Werke von Andreas Greiner zu zeigen. Es ist für mich eine große Ehre, in Greiners Arbeiten einführen zu dürfen, weil sie mich selbst in meiner Arbeit und in meiner Wahrnehmung von Ökologie und Technologie geprägt haben. Bei Greiner stehen Wissenschaft und Kunst nicht im Widerspruch. Seine Arbeit ermöglicht damit einen anderen Blick auf die wichtigsten gesellschaftlichen Themen unserer Gegenwart.
Die Verbindung von Kunst und Wissenschaft führt uns zu ontologischen und ethischen Fragen. Es geht nicht nur um Form, sondern auch um Politik – aber Politik nicht als Verwaltung einer Stadt oder eines Landes, sondern als ein übergeordnetes Problem bei dem die Teilhabe aller auf dem Spiel steht. Kunst kann auch für die sprechen, die keine hörbare Stimme in einer westlichen modernen Gesellschaft haben. Sie ist ein Experimentierfeld für grundlegende Fragen der Zukunft.
Greiners Kunst kann als Stimme der Stimmlosen betrachtet werden: Mikroorganismen, Insekten, Pflanzen, die mit uns ein biologisches System teilen. Er bietet uns vor allem eine Möglichkeit, unsere Haltung gegenüber „unserer Umwelt“ zu überdenken, und das mit einer gewissen Poesie, die sowohl Wörter, Stimmen, Bilder und Lebewesen mobilisiert.
Um es zu erläutern, möchte ich mit Ihnen in den nächsten zehn Minuten eine doppelte Reise unternehmen. Einerseits im direkten Hinblick auf die Gesellschaft und anderseits im Bezug zur Kunst. Ein Teil der Reise führt in die nicht allzu ferne Zukunft – unser ökologisches und technologisches Zusammenleben. Der zweite Teil der Reise hat einen direkten Bezug zu Goslar. Ein Exkurs zur aktuellen Kaiserring-Trägerin Barbara Kruger und den Künstler Joseph Beuys lässt uns die Dringlichkeit der Arbeiten Greiners verstehen.
Zwei Fragen leiten uns: Wie kann man über Umwelt und Ökologie in der Zeit von Klimawandel und Artensterben sprechen? Und vor allem, wie kann man künstlerisch damit umgehen?
Diese Fragen werden innerhalb der Ausstellung gestellt oder zumindest durch die Werke und ihre Beziehungen untereinander thematisiert. Unsere Reise könnte deshalb in diesem Gebäude vom Obergeschoss ins Erdgeschoss führen.
Im Obergeschoss sind wir mit der vieldebattierten Frage des Transhumanismus konfrontiert.
Neben medizinischer Forschung in einer Welt, die von Selbstoptimierung und Allmacht besessen ist, liegt der Kern des Transhumanismus in der Möglichkeit der Veränderung von Körperteilen, aber auch in der Auswahl und dem Aufbau genetischer Zellen. Es wird eine Art Übermensch möglich.
Greiners Interesse für Naturwissenschaften, das sich schon in seiner Zeit als Medizinstudent zeigte, förderte sein Interesse für alles Lebendige. Wenn Fortschritte in der Genforschung bedeuten, die Genesung und das Wohlergehen von Patienten zu fördern, dann erlauben sie auch die physikalische und genetische Verbesserung des Menschen.
Es ist in diesem Sinn eine Ausprägung des Traums vom künstlichen Menschen. Eines der bekanntesten Beispiele — 200 Jahre nach Mary Shelleys Roman Frankenstein — ist der amerikanische Biochemiker Craig Venter. Beim Duplizieren der DNA einer Bakterie öffnete er die Tür zur künstlichen Schöpfung neuer Lebewesen. Diese genmodifizierten Zellen hat Greiner mit einem Rasterelektronenmikroskop gefilmt.
Als Verkörperung des Transhumanismus weisen diese Zellen der Wissenschaft eine Richtung, die man als „Flucht nach vorne“ bezeichnen könnte, eine Flucht nach vorne in der Hoffnung einer ständigen technologischen Steigerung der Komplexität künstlicher Prozesse – bis zur Unsterblichkeit. Vielleicht als Kontrapunkt dieser Flucht zeigt Greiner seine Installation „The Molecular Ordering of Computational Plants“, die er mit dem Komponisten und Musiker Tyler Friedman realisierte.
Diese Installation ist ein immersives Erlebnis. Das Licht wird in sieben Schritten ganz ausgelöscht. Neben einen Text von Tyler Friedman, der von sechs Stimmen vorgetragen wird, fangen am Ende des Stückes Algen an zu leuchten.
Den Algen (die vom Künstler gezüchtet wurden) dient das Leuchten in ihrer natürlichen Umgebung als Abwehrmechanismus. Sie haben aber auch die besondere Fähigkeit, Kohlenstoff zu binden und ihn aus der Atmosphäre zu entfernen. Hier als lebende Skulptur, als Performer sind sie auch Erscheinungsform des Textes, der Soundinstallation. Im Text heißt es: „Die neuen Menschen werden einfach sein, effektiv und untereinander vernetzt, wie optimierte, manipulierte Zellen, wie Algen im Meer, auf dem Raumschiff Erde.“
Obwohl das Zitat nach einer optimierenden Komplexitätsreduktion und-bewältigung der Menschen klingt, geht es nicht um eine Vereinfachung des Körpers zu einsamen Organismen, sondern um die Schaffung einer neuen Form von Gesellschaft, eine Union von Wesen die konstruktiv weiterleben.
In einer Art von dystopischem Dilemma zeigt Greiner dennoch zwei mögliche Entwicklungen: zum einen die synthetische Neuerfindung des Lebens, zum anderen die spekulative Vereinfachung. Die letzte Vorstellung ist, provokativ gesagt, vielleicht einfach eine Möglichkeit, wie diese Welt in Zukunft weiter bewohnbar bleiben kann.
Die Fragen gehen weiter: Sollen wir eher auf einem anderen Planeten Zuflucht suchen?
Oder sollen wir unser Leben und unser gemeinsames Dasein ändern?
Ein weiteres Dilemma, das wir in den zwei unteren Etagen und im Skulpturengarten finden: Wenn es für die Mehrheit keinen Planeten B gibt, sehen einige die Erde nicht als einziges Raumschiff.
Eine unserer Diskussionen mit Andreas führte uns zu einer Äußerung von Jeff Bezos, Gründer und Chef von Amazon und reichster Mann der Welt: In einem Interview, sagte er, man solle den Mars bewohnbar machen, da die Erde bald zerstört sei. Ungeachtet der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, in diesem Jahrtausend die Menschheit auf den Mars umziehen zu lassen, muss man sich fragen, was die Prioritäten der Forschung sind und vor allem, warum einer der mächtigsten CEOs der Welt weiter die Erde verschmutzt, während er den Blick auf den Himmel richtet. Diese Perspektive ähnelt dem transhumanistischen Gedanken, der so eine Flucht nach vorne erlaubt: dem ungebrochenen Glauben an Konsum und Wachstum.
Um eine Brücke zur diesjährigen Kaiserring-Trägerin zu bauen, kann man hier an Barbara Krugers Foto mit dem Slogan „I shop therefore I am“ denken. Dann sieht man, dass die Kunst sich schon längst mit der Frage der Konsumkritik beschäftigt hat. Dieser Slogan ist immer noch aktuell, auch wenn der Kontext sich geändert hat und die ökologische Dringlichkeit bewusster geworden ist.
Ohne dem Konsumenten die Schuld geben zu wollen, ist der Konsum Teil des Problems. Der Konsum mag in dem kapitalistischen System nötig für das wirtschaftliche Wachstum sein, er verbraucht aber auch Ressourcen und ist zugleich abhängig von ihnen. Ohne sich sozialen Aspekten zu nähern, bedeutet diese Art von Wachstum für die Umwelt Co2-Ausstoß, Abholzung, Brandrodung und massives Artensterben.
Wie hat man sich die zukünftigen Landschaftsbilder vorzustellen, wenn die meisten Organismen gestorben sind?
Andreas hat diese Frage mit Künstlicher Intelligenz beantwortet. Die generierten Bilder, die er erzeugt hat, könnten Erinnerungen an tote Wälder sein. Sie sind die digitale Vorstellung eines Waldes, auf der Grundlage eines Datensatzes mit 1.000 Bildern, die Greiner im Hambacher Forst und in Białowieża in Polen geschossen hat. Der erste Wald ist jetzt in Deutschland zum Symbol für den Widerstand gegen den Kohlenabbau geworden, der zweite eines der letzten verbliebenen Urwaldgebiete Europas.
Diese Bilder dienen nicht nur als memento mori des Lebendigen, als Erinnerung an eine reiche Natur im romantischen Sinn, sondern auch als Ausgangspunkt zu einem weiteren Gedanken: Die technologischen Fortschritte erlauben uns zwar grüner zu sein, wir fahren Elektroautos und schicken Emails anstatt Briefe, aber der Verbrauch von Strom und Ressourcen nimmt zu. Wir wollen einfach mehr.
Im Prozess der Entstehung dieses Werk hat Greiner festgestellt, dass er für das Rendering der Bilder seines Projekts deutlich mehr Strom verbrauchte als der durchschnittliche deutsche Erwachsene in einem Jahr. Durch Infografiken und Texte stellt Greiner in der Verbindung mit anderen Daten, wie der Produktion von Kohle in Deutschland, diese Erkenntnis dar.
Ähnlich wie Hans Haacke präsentiert er diese Daten und seine eigene Interpretation davon auf Tafeln. Allerdings nicht als soziologische oder institutionelle Kritik, sondern um ein tiefgründiges Paradox zu äußern, das uns sicher alle betrifft. Aber auch besonders ihn als Künstler, der nicht mehr fliegt und kein Fleisch mehr konsumiert. Er ist Teil der kapitalistischen Welt, zwar ökobewusst und in dieser Hinsicht ein Vorbild, aber allein durch seine Kunst trägt er zum CO2-Ausstoß bei.
Unter einer Fotografie, die die Grenze der Rodung im Hambacher Forst zeigt, ist im Hintergrund ein riesiger Kohlenbagger zu sehen. Unter das Bild schreibt Greiner, inwiefern wir Teil eines widersprüchlichen Öko-Systems sind. Dieser Text ist wie eine Verbindung zwischen dem Ausstellungsraum und dem Garten. Durch das Fenster daneben kann man eine kleine Hainbuche betrachten.
Nach den Algen im Obergeschoss erinnert uns diese weitere lebende Skulptur an den Vordenker der Ökologie-Bewegung James Lovelock und seine Gaia-Hypothese. Demnach sollte man das Leben auf der Erde als einen einzigen Organismus verstehen. Jedes Lebewesen wirkt indirekt auf das andere, und bei der Darstellung von anderen nicht-menschlichen Wesen in der Kunst Greiners öffnet sich ein neues Fenster der Ökologie.
Die Hainbuche wurde von Greiner zusammen mit dem Künstler Paul Rohlfs platziert, in der Nähe von drei Eichen und Basaltsäulen, die Joseph Beuys, drei Jahre nachdem er den Kaiserring erhalten hatte, im Skulpturengarten gepflanzt hat. Analog zu Beuys könnte Greiner sagen, „Die Bäume sind wichtig, um die menschliche Seele zu retten."
Greiners Hainbuche ist allerdings ein Symbol des Widerspruchs. Greiner hat berechnet, dass der Baum mehr als 130 Jahre leben muss, um den Verbrauch des gesamten überschüssigen Kohlendioxids, das für die Produktion der Bilderserie freigesetzt wurde, metabolisiert und aufgenommen zu haben. Mehr noch als die menschliche Seele zu retten, weisen die Bäume in diesem Sinn zunächst einen Weg zum Fortbestehen der Menschheit.
Als Teil einer neuen Generation von ökologischen Künstlern zeigt Greiner, dass Kunst Information verdichten und neue Arten von Darstellungen finden kann, die die Betrachter prägen. Anders gesagt, Andreas Greiners Ausstellung ist eine Möglichkeit die durch die Informationsflut ausgelöste Passivität abzulegen und eine dauerhafte Neugier zu entwickeln. Sie ermöglicht der Vorstellungskraft Zugang zu anderen Wesen und Kosmologien und erlaubt, unsere nahe und ferne Umgebung neu zu denken.
Ich hoffe, auch Sie werden das erfahren.
Vielen Dank Andreas und weiterhin viel Erfolg für die Gestaltung neuer Werke von Bedeutung. Vielleicht benötigen manche Werken zu Recht mehr Energie.
Ausstellung, 08. September 2019 — 26. Januar 2020
Mönchehaus Museum Goslar - Verein zur Förderung moderner Kunst e.V.
Mönchestraße 1 - D–38640 Goslar
http://www.moenchehaus.de/
Vielen Dank an Philipp Hindahl und Carlos Gluschak!